Einen Wohnort aufbauen, gleichzeitig einen Verein, ein Sozialunternehmen oder einen Treffpunkt und nebenbei noch genug Geld verdienen? Ach ja und die Familie! Wie geht das alles zusammen?

Wie du deine eigene Vision zu fassen kriegst

Nicht nur jedes Projekt, sondern auch jeder Mensch ist anders gestrickt. Ob du bislang schon in vergleichbaren, “experimentelleren” Lebensformen gelebt hast oder dein Alltag vom Zusammenleben mit der engsten Familie und einer geregelten 40h-Woche geprägt war, nimmt mit Wahrscheinlichkeit Einfluss darauf, wie deine Vision aussieht und wie du den Entwicklungsprozess erleben wirst. Wir können uns vor anstehenden Veränderungen nie wirklich ausmalen, wie sie sich später anfühlen werden. Die Gründung eines Zukunftsorts wird deine bisherigen Gewohnheiten mit Sicherheit auf verschiedenen Ebenen grundlegend umwälzen. Die Herausforderung in der Vorbereitung ist, dass du einerseits sehr genau weißt, was du dir von diesem Ort erhoffst und was du brauchst, um dich dort wohlfühlen zu können und gleichzeitig offen bleibst für Entwicklungen, die auf den ersten Blick womöglich nicht deinen Erwartungen entsprechen.

Die Überforderung ist der rote Faden des Unglücklichseins. Aber Teil einer größeren Bewegung zu sein und das Gefühl zu haben, dass diese in die richtige Richtung geht, macht unglaublich glücklich.

 - Foto: Pablo Lopez
Cyrus Khazaeli / Gründer

Projektraum Drahnsdorf

Den eigenen Bedürfnissen verschiedene Prioritäten zu geben kann helfen, mit Hürden und stressigen Momenten umzugehen, weil du für dich klar siehst, wo du kompromissbereit bist und wo nicht. Und das schöne: ein Zukunftsort ermöglicht viel persönliches Wachstum und die  Auseinandersetzung mit neuen Themen- und Wissensgebieten.

 - Foto: Lena Heiss
Musikbahnhof Annahütte

Wir sind noch immer die selben wie früher

Was viele am Beginn der Zukunftsort-Projektentwicklung im Blick haben ist:
  • die Sehnsucht nach Land und Natur, das draußen sein

  • eine Alternative zum Leben in der Kleinfamilie zu finden, etwas gemeinsam mit anderen zu erschaffen

  • Leben und Arbeiten auf eine neue Art zu verbinden

  • Selbstwirksamkeit zu spüren

  • einen eigenen Ort mit Freiraum zum Gestalten zu haben

  • raus aus der Großstadt, der Überforderung, dem Stress.

Was du dabei vielleicht gerade nicht siehst:
  • die große finanzielle und soziale Verantwortung, die du persönlich trägst

  • die zähe Auseinandersetzung mit Rechtsformen, Verträgen, Förderanträgen, Kreditanfragen

  • die organisatorischen Herausforderungen und Konflikte in einer Gruppe

  • dass jede*r eine andere, eigene Vision mitbringt und es damit immer Abstriche in deinen persönlichen Vorstellungen geben wird

  • die möglicherweise lange, zehrende Zeit des Übergangs mit viel Fahrerei und Kompromissen

  • dass alles sehr viel Geld, Zeit und Nerven kostet

  • dass es gar nicht so leicht ist, den neuen Ort und das Leben dort auch zu genießen - denn es gibt immer neue Herausforderungen und To Dos

  • dass du nicht nur auf deiner kleinen Insel im Grünen ankommst, sondern auch in einer Dorfgemeinschaft mit ihren eigenen Dynamiken und Erwartungen an euch.

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heimatHof Gut Ziegenberg

Wie lassen sich privtes Leben und die Arbeit auf einem Zukunftsort verbinden?

Was macht das Leben an einem Zukunftsort aus?

Das Leben an einem Zukunftsort ermöglicht vollkommen neue Denk- und Gefühlssphären. Ein wichtiger Schlüsselbegriff für dich persönlich ist hierbei die Routine. Sie wird in jedem Fall erstmal durcheinander gebracht werden und ist vielleicht sogar eine ganze Zeit lang gar nicht möglich zu leben. Eben diese Anstrengung, alte Bewegungs- und Handlungsmuster abzulegen, ist nicht zu unterschätzen. Gleichzeitig kann aber gerade das auch sehr erfüllend sein, weil man ganz neue Kompetenzen an sich entdecken und fast garantiert über sich hinaus wächst. Das ständige Hin und Her zwischen Überforderung und Erfüllung wird vor allem die Entwicklungsphase eures Ortes ausmachen. Cyrus vom Zukunftsort Drahnsdorf nennt das Mikroemotionen, die er jeden Tag in ständigen Auf’s und Ab’s durchlebt.

Mikroemotionen

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 - Foto: Pablo Lopez
Cyrus Khazaeli / Gründer

Projektraum Drahnsdorf

Wie du das Leben an deinem Zukunftsort wahrnimmst, hängt außerdem von deiner eigenen inneren Haltung bzw. Einstellung zu den drei Kernelementen eines Zukunftsorts ab: Leben, Arbeiten und Offener Ort. Die Definition Zukunftsort setzt eine Überzeugung gemeinwohlorientierter und nachhaltiger Werte voraus, die mit den Ansprüchen an den eigenen Lebensstandard zusammen zu bringen sind.

Städtische Arroganz und Überlegenheitsgefühle, weil man glaubt, die richtige Meinung zu haben, kann man zuhause lassen. Hier gewinnt nicht, wer hip ist, sondern wer zugänglich ist und auch an andere denkt. So angekommen habe ich mich im ganzen Leben noch nicht gefühlt.

 - Foto: Jacqueline Schulz
Nadine Binias / Marken- und Kommunikationsberaterin, PR-Expertin und freie Journalistin

Ankommen wie noch nie

In ihrem Artikel im Tip! schreibt Nadine über ihre Erfahrungen des Ankommens

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Leben

In deinem Leben an einem Zukunftsort erhält Zwischenmenschliches eine große Bedeutung. Mit Anderen zusammen zu sein, wird prägend für deinen Alltag und zwar sowohl mit dir vertrauten, als auch mit neuen Menschen. Dein Alltag wird nun durch das ständige Aushandeln von Aufgaben, Erwartungen und Verantwortungsübernahme für das Projekt bestimmt sein. Dass du daran Freude hast, setzt voraus, dass du Begegnungen diverser Art als Bereicherung und nicht als Anstrengung empfindest. Eine wertvolle Fähigkeit ist: sich abgrenzen können.

Eigenverantwortung

Etwas, was du (und jede*r in eurer Gruppe ) mitbringen oder entwickeln solltest, ist die Bereitschaft zur Selbstreflexion und Eigenverantwortung. Denn grundsätzlich gilt: die Gruppe oder das Team ist nicht verantwortlich dafür, dass es dir in allen Belangen gut geht, du dich aufgehoben und getragen fühlst. Es überfordert ein Gruppenprojekt, zu jeder Zeit auf alle Ängste und persönlichen Bedürfnisse jedes/jeder Einzelnen einzugehen. Wer zu Beginn diesen Anspruch hat (sich vielleicht gerade aus diesem Grund für ein Gruppenprojekt entschieden hat), wird über die Jahre lernen, dass man für die Gruppe sorgt, indem man für sich selbst sorgt.

Ein Wohn- und Arbeitsprojekt ist auch eine Selbstentwicklungsprojekt.

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Julia Paaß / Gründerin / Netzwerk

Hof Prädikow

 - Foto: Pablo Lopez

Gruppenprozesse kosten Zeit und Kraft - umso wichtiger ist es, manchmal auch in sich selbst hinein zu hören und für sich zu sorgen. Davon profitiert sowohl die Gruppe als auch man selbst.

 | Foto: Pablo Lopez

Bei starken Widerständen oder Ängsten stell dir die Frage: ist das wirklich ein Problem der Gruppe, oder geht es auf eine persönliche Unsicherheit, eine eigene Baustelle von mir zurück? Ist das etwas, womit sich die ganze Gruppe auseinander setzen muss, oder sollte zuallererst ich für mich klären, warum mich das Thema so triggert? Mitunter ist es hilfreich, sich zu Themen, mit denen man immer wieder Probleme hat, punktuell psychologischen Rat zu holen. Diese Vorgehensweise entlastet eure Gruppe und lässt dich persönlich in ungeahnter Weise wachsen.

Persönliche Resilienz

Viele, die sich für ein Zukunftsort-Projekt entscheiden, kommen damit an ihre persönlichen Grenzen in puncto Belastbarkeit, Gruppenprozesse, Wissen, Sicherheitsbedürfnis, etc. Diese “Grenzgänge” fühlen sich oft überfordernd an, sind aber zugleich Sprungbretter zu ganz neuen Ebenen von Gelassenheit und Souveränität. Es ist ein bisschen wie mit dem Eltern werden: Erst wenn man mittendrin steckt, weiß man, was das wirklich bedeutet und nach ein paar Jahren erkennt man, wieviel belastbarer man ist, als man vor dem Kinderkriegen je von sich vermutet hätte. Man sieht auch, wieviele neuen Kompetenzen man dazu gewonnen und wie gelassen man in Situationen man geworden ist, die man vor Jahren noch als absolut existenziell und überfordernd empfunden hätte. So trägt der Aufbau und Betrieb eines Zukunftsorts nicht nur zur Regionalentwicklung, sondern auch zur Entwicklung persönlicher Resilienz bei – ein nicht zu unterschätzender Effekt!

 - Foto: Lena Heiß
RothenklempeNow

Die richtige Work-Life Balance finden

Arbeiten

Arbeit und Freizeit verschwimmen an einem Zukunftsort oder gehen, besser gesagt, Hand in Hand. Du wirst mehr Flexibilität und Eigenständigkeit haben, um deinen Arbeitsrhythmus zu gestalten, mehr Selbstbestimmung und Gestaltungsspielraum, was die Inhalte deiner Arbeit angeht, aber auch mehr Verantwortung und zumindest zeitweise eine größere (finanzielle) Unsicherheit im Arbeitsalltag. Damit du deinen Gestaltungsspielraum gut ausleben kannst, sollte in deiner Gruppe Einigung über die Vorstellung der zu verwirklichenden Inhalte herrschen. Bestenfalls sollte transparent gemacht werden, wieviele Stunden pro / Woche jeder reingeben kann und wer welche Verantwortungsbereiche übernimmt.

Momentan ist die große Überlegung, wie wir die nächsten Jahre planen. Hier wird ein Bad renoviert, da muss was umgebaut werden, und, und, und. Zusammen mit einer Projektentwicklungsgesellschaft wäre das viel bequemer. Dann kann man Zeit und Liebe in die Konzepte stecken, die dem Gebäude übergestülpt werden.

 - Foto: Lena Heiss
Jan-Uwe Riest / Gründer
Gut Boltenhof

Batterien aufladen

Wenn ihr euch ständig überfordert und überarbeitet fühlt, investiert lieber Geld in Unterstützung in bestimmten Bereichen und lagert anstrengende und aufreibende Aufgaben aus. Es bringt euer Projekt sicher nicht weiter, wenn ihr ein bisschen Geld spart, aber die treibenden Kräfte in der Gruppe den Überblick verlieren oder im Burnout landen. Gleichzeitig ist es manchmal eine gar nicht so leichte Abwägung: manche Aufgaben sind nicht höchste Priorität, machen trotzdem Spaß und geben dadurch Energie zurück. Andere sind Schwarzbrot-Arbeit und doch so sensibel, dass sie nicht von Externen geleistet werden können. Geht darüber immer wieder in eurem Team ins Gespräch und sprecht über eure Arbeitsbelastungen.

 - Foto: Lena Heiß
 | Foto: Lena Heiß

All-In oder zweites Standbein?

Die Parallelität verschiedener Aufgaben und Anforderungen kann für viele belastend sein. Wenn ihr euch bisher noch über ein zweites Standbein (eine Erwerbstätigkeit unabhängig von eurem Zukunftsort) finanziert, regt sich vielleicht jetzt der Wunsch, das hinter euch zu lassen und euer Leben voll über die Aktivitäten des Zukunftsorts zu finanzieren. Andere wiederum empfinden es als Gewinn, einer zweiten Tätigkeit nachzugehen, besonders, wenn sie sich inhaltlich mit dem Zukunftsort verknüpfen lässt und gut für’s Netzwerk ist. Es gibt auch hierbei kein Schema F, sondern ganz unterschiedliche unternehmerische Modelle zwischen Voll- und Teilerwerbstätigkeit. Jeder kann und muss für sich aushandeln, welches Modell am besten zu ihnen passt.

Zukunftsort-Macher*innen zum Arbeiten vor Ort

 - Foto: Lena Heiß

Jan-Uwe Riest und seine Familie leben auf, von und mit Gut Boltenhof

 | Foto: Lena Heiß

Umsätze sind keine A-Priorität!

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 - Foto: Lena Heiss
Jan-Uwe Riest / Gründer
Gut Boltenhof
 - Foto: Lena Heiß

Im Zukunftsort Ein Ding der Möglichkeit fallen unterschiedliche Arbeiten an, die viele Hände zum Anpacken brauchen.

 | Foto: Lena Heiß

40h-Woche

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Annika Heinrichs / Gründerin
Ein Ding der Möglichkeit
 - Foto: Martje Schreier

In Neuendorf im Sande trägt das Ehrenamt einen Großteil des Projektes

 | Foto: Martje Schreier

Wertschätzung durch Geld?

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Katharina Vorbau / Gründerin
Zusammen in Neuendorf
 - Foto: Kaiserliche Postagentur

Geld verdienen mit einem Zukunftsort

Euer Zukunftsort kann euch nicht nur ideel, sondern auch finanziell zugute kommen! Wie, das erfahrt ihr hier: 

Geld verdienen im Zukunftsort

Offener Ort

Als Zukunftsortgründer*in entscheidest du dich nicht nur für einen offeneren Lebensstil, sondern auch dazu, diesen mit anderen Menschen zu teilen und für sie zugänglich zu machen. Dir werden Neugier und Interesse, aber vielleicht auch Skepsis entgegen gebracht werden. Du selber kannst an der engen Auseinandersetzung mit der Diversität an Meinungen und Gewohnheiten wachsen. Mit dem offenen Ort eröffnet ihr euch gleichzeitig die Möglichkeit, den umliegenden Ort bzw. die Region in seiner/ihrer Gänze mitzugestalten. Mit dieser Sichtbarkeit und Präsenz des Projektes, steigen aber auch die Erwartungen und die Kritik an euch als Akteur der Regionalentwicklung. Und das, obwohl ihr am Anfang vielleicht “nur” einen netten Ort mit Freunden im Grünen wolltet...

Gentrifizierung auf dem Land?

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Grit Körmer / Regionalmanagerin

LAG Märkische Seen e.V.

Expert*innen zum Thema

Folgende Personen haben bei diesem Beitrag mitgewirkt und teilen gern Ihre Erfahrungen rund um das Leben und Arbeiten vor Ort im Netzwerk Zukunftsorte.

 - Foto: Pablo Lopez
Cyrus Khazaeli

Gründer

Projektraum Drahnsdorf

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Julia Paaß

Gründerin / Netzwerk

Hof Prädikow
 - Foto: Jacqueline Schulz
Nadine Binias

Marken- und Kommunikationsberaterin, PR-Expertin und freie Journalistin

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Grit Körmer

Regionalmanagerin

LAG Märkische Seen e.V.