Was ist ein Nutzungskonzept – und wie erstelle ich es?
In einem Nutzungskonzept übersetzt du deine Ideen, Werte und Visionen in einzelne, ganz konkrete Nutzungen und überprüfst, ob diese überhaupt mit den bestehenden Ressourcen, also vor allem den Gebäuden sowie den finanziellen und zeitlichen Kapazitäten, zusammenpassen. Die Erstellung eines Nutzungskonzeptes ist meist ein Prozess, der dich über die gesamte Projektentwicklung begleitet – von den ersten Nutzungsideen, die als Grundlage für Entscheidungen in der Gruppe dienen, bis zum ausgereiften Nutzungskonzept, mit dem du Förderungen und Finanzierungen beantragen kannst.
Einfach erstmal machen?
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Jörg Bodemann / GründerFlagshipstore Stolzenhagen
Schritt 1: Den Prozess planen
Wie für jedes Konzept solltest du dir am Anfang überlegen, wer die Zielgruppe ist, wie viel Zeit du für die Erstellung des Nutzungskonzeptes hast und wer alles daran beteiligt werden soll. Insgesamt wird die Arbeit an einem Nutzungskonzept an verschiedenen Stellen im Prozess immer wieder relevant sein – vor allem dann, wenn es darum geht, praktisch zu planen, was ihr mit dem Projekt und dem Grundstück vorhabt. Überleg dir, ob und wann du externe Unterstützung gebrauchen könntest und bereite eine klare Struktur für den Entwicklungsprozess vor.
Ein solcher Prozess kann auch partizipativ sein – wie in Prädikow, wo das Nutzungskonzept der Scheune Prädikow gemeinsam mit dem Dorf entwickelt wurde. Wie sie das gemacht haben, siehst du im Video.
Schritt 2: Grundlagen sammeln
In dieser Phase gilt es, alle Grundlagen für das Nutzungskonzept zusammenzustellen.
Die folgenden Themen und Fragen solltest du in Bezug auf die Gruppe, das Gebäude, Zielgruppe und Nutzungswünsche sowie Dorf und Region vorab klären:
Tipp
Alles übersichtlich aufzubereiten, aufzuhängen oder auf einem digitalen Board zu sammeln, ist nicht nur ein guter Ausgangspunkt für eine intensive Planungswerkstatt, sondern hilft auch während des Prozesses, den Überblick zu behalten.
Was sind vorhandene Bedürfnisse und Ideen?
Gibt es bereits einen Wertekatalog und eine ausformulierte Vision, die als Grundlage oder Richtschnur dienen kann?
Was waren ehemalige Nutzungen? Welche Geschichte(n) sind mit diesem Ort verbunden?
Gibt es bereits eine vollständige Plangrundlage der Immobilie?
Wenn nein: Gebäude oder Grundstück selbst vermessen, Vermessung beauftragen oder improvisieren und aus dem Flurplan oder von digitalen Luftbildern abzeichnen. Wenn ihr die Computerprogramme dafür nicht beherrscht, dann tut es auch ein Ausdruck und Transparentpapier.
Was sind bauliche oder rechtliche Restriktionen? Nimm Kontakt zu deiner*deinem Ortsvorsteher*in oder Bürgermeister*in auf und frage nach Ansprechpartner*innen im Amt. Wende dich an die Gemeinde und prüfe Bebauungsplan, Außenbereichsgrenzen, Denkmalschutz-Status oder mögliche Schadstoffbelastungen durch gewerbliche Vornutzungen. Mehr dazu findet ihr auf den sehr gut aufbereiten Arbeitshilfen des Netzwerks Immovielien.
Tipp
Wenn ihr diese Dinge nicht wisst und rausfinden könnt, kann es sehr wichtig und hilfreich sein, externe Gutachter zu beauftragen.
Gibt es bestimmte Anforderungen oder gesetzliche Grundlagen, die auf jeden Fall beachtet werden müssen, zum Beispiel für Beherbung oder Veranstaltungsräume? Vereinbare am besten einen Termin beim Amt und kläre alles persönlich ab.
Habt ihr bereits Beispiele und Inspiration gesammelt oder sogar schon eine konkrete Nutzungsmischung im Kopf? Wenn nicht: Organisiert einen Workshop und steckt die Köpfe zusammen. Nehmt euch reichlich Zeit, legt ein Arbeitsziel fest und organisiert eine Kinderbetreuung, damit sich alle auf das Thema einlassen können.
Was für Angebote sind bereits im Dorf oder der Region vorhanden? Welche Synergien sind möglich? Wie könnt ihr miteinander in Kontakt treten und voneinander lernen?
Wo gibt es noch Bedarfe?
Was möchte ich für einen Mehrwert schaffen?
Schritt 3: Analysieren, zuordnen und zonieren
Jetzt geht es ans Eingemachte und die eigentliche Planung der Nutzungen. Dafür gilt es, die Gebäude und den Außenraum so gut wie möglich zu „verstehen“. In diesem Schritt hilft eine gute Mischung aus Bauch- bzw. Raumgefühl und der strukturierten Analyse.
Als erstes sollten die Gebäude genau angeschaut werden. Was sind ihre Talente und was ihre Limitierungen? Schaut euch dafür Größe, Raumstruktur, Belichtung, Zugänglichkeiten und Ausblicke an. Auch die Lage auf dem Grundstück spielt eine große Rolle – ist es ein Gebäude, was eher öffentlichen Charakter hat und zum Beispiel direkt an der Schnittstelle zum Dorf liegt oder ein eher privater Raum, wo man sich gut geschützt fühlt. So kann das ganze Grundstück nach Öffentlichkeit und Privatheit sowie Wegeverbindungen, die sich automatisch ergeben, analysiert werden.
Auf Grundlage dieser Analyse können die Nutzungen zugeordnet werden und das Grundstück in Zonen eingeteilt werden. Was sind eher öffentliche, intensive und lebendige Bereiche und was eher private, zurückgezogene? In diesem Schritt solltet ihr auch mögliche Nutzungskonflikte bedenken – beispielsweise wenn es um Lautstärke (zum Beispiel einer Werkstatt), befahrbare Lieferwege oder Bedürfnisse von Gästen und dauerhaften Bewohner*innen geht.
Tipp
Alles, was in diesem Schritt erarbeitet wird, sollte unbedingt in einem Plan festgehalten werden!
Schritt 4: In Phasen denken
Der Plan steht – doch ihr könnt wahrscheinlich nicht mit allen Teilprojekten gleichzeitig beginnen. Überlegt euch, wie ihr die Entwicklung des Projektes entsprechend der Größe und eurerfinanziellen und zeitlichen Ressourcen in sinnvolle Phasen unterteilen könnt.
Hier funktionieren die Zukunftsorte sehr unterschiedlich. Ist es ein Projekt dessen Kern schnell wirtschaftlich funktionieren soll (zum Beispiel als Seminarbetrieb mit Beherbergung), geht es wahrscheinlich darum, wie das Investment gestemmt und dabei schnell der Betrieb aufgenommen werden kann. Liegt der Fokus mehr auf Gemeinschaft und Wohnen, wird in der ersten Phase wahrscheinlich eher auf Pioniernutzungen, dem niedrigschwelligem Austesten und Schaffen von (temporärem) Wohnraum gearbeitet.
An diesen Phasenmodellen seht ihr, wie sich unterschiedliche Nutzungsschwerpunkte auf die Entwicklung eures Zukunftsorts auswirken können:

Fokus Gemeinschaft
Lange Gründungsphase, viele Bauphasen

Fokus Gewerbe
Schnell gründen und im Betrieb weiterentwickeln

Fokus Gemeinschaft
Lange Gründungsphase, viele Bauphasen

Fokus Gewerbe
Schnell gründen und im Betrieb weiterentwickeln


Natürlich sind die Phasen und die Entwicklungsgeschwindigkeit auch ganz wesentlich von der Finanzierung abhängig. Gibt es Startkapital oder Eigenanteile für Kredite oder ist die Entwicklung der Nutzungen ganz wesentlich von Förderungen abhängig? Wahrscheinlich kommt ihr an dieser Stelle nicht umhin, gegebenenfalls auch Betreiberkonzepte und den Zusammenhang von Gruppenkonstellation und Rechtsform zu diskutieren – zum Beispiel Verein, Genossenschaft oder Unterteilung in „unabhängige“ Teilprojekte.
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Schritt 5: Realitätscheck
Damit sind wir unmittelbar beim nächsten Schritt, dem Realitätscheck. Entweder ist dies ein bewusster Prozess oder ihr werdet im Laufe der weiteren Planungen ohnehin damit konfrontiert. Die Erfahrung der Zukunftsorte ist: Überprüft eure Träume regelmäßig auf Realisierbarkeit – möglicherweise auch mit Unterstützung von Expert*innen.
Überdenkt beim Realitätscheck folgende Punkte:
Ist die Gruppe noch mit dieser Nutzungsidee einverstanden und verstehen wirklich alle das gleiche darunter?
Wie genau stellen wir uns die Nutzung vor? Welche Herausforderungen gehen damit einher? (zum Beispiel hohe Besucherzahlen, starke Arbeitsbelastung bei Saisonbetrieben oder undankbare Arbeitszeiten in der Landwirtschaft)
Kann ich die Nutzung im Rahmen der rechtlichen Erfordernisse umsetzen (Bebauungsplan, Baurecht, Brandschutz, Denkmalschutz, Fluchtwege)?
Lässt sich die Nutzung überhaupt finanzieren – und wer beteiligt sich in welchem Maße an der Finanzierung?
Das frühzeitige Hinzuziehen von Architek*innen, Gebäudeexpert*innen, dem Bauamt oder Leuten, die Erfahrungen mit den Nutzungen haben, kann euch später viel Zeit, Geld und Nerven sparen. Vielleicht stellt sich auch heraus, dass ihr als Initiator*innen mit der Umsetzung eines (oder mehrerer) komplexen Bauprojekts überfordert seid. Dann zieht das Engagieren eines gruppenerfahrenen Projektentwicklers in Betracht. Auch das Netzwerk Zukunftsorte kann euch beratend zur Seite stehen.
Vorab Prioritäten setzen!
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Niklas Fanelsa / Architekt & GründerAtelier Fanelsa
Schritt 6: Austesten von Prototypen und Zwischennutzungen
Wenn möglich, arbeitet mit Prototypen und testet die Nutzungen einfach aus: zum Beispiel ein Sommercafé im Garten, Kino in der Scheune, Sommer-Seminare mit improvisierten Übernachtungsmöglichkeiten. So werdet ihr besser verstehen, ob die Gegebenheiten tatsächlich passen und was die Erfahrungen der Nutzer*innen sind.
Welche ersten Aktivierungen des Geländes mit verschiedenen Aktionen und Bereichen sind denkbar?
Welche Nutzungen können vorab niedrigschwellig ausgetestet werden? Wie können so ggf. erste Einnahmen generiert und euer Vorhaben bekannt gemacht werden?
Könnt ihr euch während der Bauphase in den Sommermonaten schon mal temporär auf dem Gelände einquartieren und quasi „auf Probe” wohnen?
Gibt es Bauwägen, Bullis oder Tiny Häuser, mit denen ihr euren Zukunftsort schon mal beziehen könnt?
Tipp
Überlegt euch gut, ob ihr auch externe Menschen aus der erweiterten Community in Bauwägen etc. auf eurem Gelände wohnen lassen wollt. Was am Anfang lustig ist, kann schnell zum gefühlten Gewohnheitsrecht werden. Wenn es dann um Zahlungen und Verantwortlichkeiten geht, kann das fröhliche Miteinander kippen und zu handfesten Konflikten führen. Die Nutzung des Geländes als Privileg für feste Mitglieder*innen oder Verantwortungsträger*innen, geknüpft an schriftliche Vereinbarungen und Nutzungsverträge hat sich in vielen Zukunftsorten bewährt.
Mit Macher*innen und Expert*innen ins Gespräch kommen

Schritt 7: Teilnutzungen vertiefen und Finanzierungskonzept erstellen
Nach der ersten Grobplanung müsst ihr wahrscheinlich in die Vertiefung von Teilnutzungen einsteigen oder das Nutzungskonzept für andere Zielgruppen aufbereiten, zum Beispiel für die Fördermittelakquise oder die Präsentation im Gemeinderat. Spätestens bei der konkreten Entwicklung eines Gebäudes ist der Übergang vom Nutzungs- zum Betreiber- und Finanzierungskonzept fließend.
Auf dem Hof Prädikow versuchen wir den Balanceakt: Wohnen organisieren wir genossenschaftlich, Arbeit ist entweder als Gemeinschaftsprojekt wie bspw. bei der Scheune möglich, dann hängen alle in den Chancen und Risiken mit drin. Es gibt aber auch die Möglichkeit, ein privates Gewerbe aufzubauen auf Basis privater Investitionen. In Zukunft kommt dann die Frage nach externen Investitionen auf.
Julia Paaß / Gründerin / NetzwerkHof Prädikow

