Einen Zukunftsort bauen

Einen Zukunftsort bauen bedeutet sehr viel mehr als Wände einzureißen und neu zu verputzen. Im Bausektor werden insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel die Stimmen immer lauter, die einen bewussteren Umgang mit Bestandsbauten als wertvolle Ressourcen einfordern. Daneben werden das Bauen mit klimaneutralen, nachwachsenden Baustoffen, die Lockerung zu starrer Bauregularien z.B. im Denkmalschutz, Recylingfähigkeit und die Schaffung resilienter Strukturen intensiv thematisiert. Unter Expert*innen herrscht eine gewisse Ratlosigkeit zu vielen Fragen. Wo sollten wir noch bauen und wer strickt die Vorgaben, wie gebaut wird? Wem gehört zukünftig der Boden, auf dem wir bauen und leben? Mit einem Zukunftsort habt ihr die Chance, neue Antworten zu finden und Pioniere dieser drängenden Transformationsprozesse zu werden.

 - Photo: © Peter Ulrich

Was darf davon wohl stehen bleiben? 

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Grafik: studio amore - Netzwerk Zukunftsorte
Phasen des Bauens – und was parallel passiert

Während eines Bau- oder Sanierungsprozesses gibt es analog zu den Planungsphasen der Architekt*innen auch viele andere Themen im Bereich Konzept/Prozess, Planung und Finanzierung zu bearbeiten. In diesem exemplarischen Ablauf könnt ihr sehen was ihr selbst machen könnt und wo ihr zusätzliche (bezahlte) Expertise benötigt.

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Starke Gruppe, starkes Konzept & starke Nerven

Das Nutzungs- und Gestaltungskonzept zu formulieren, ist ein aufregender und intensiver Prozess mit Gestaltungsmöglichkeit und Raum zur Entfaltung, aber auch knifflig. Je nach Gebäude und Standort kommen nämlich noch Themen wie Denkmalschutz oder Baurecht zum Tragen und diese erfordern eine enge Zusammenarbeit mit Ämtern und Behörden vor Ort. Bei Bestandsgebäuden, die schon länger leer standen, kann bei einem Umbau z.B. ein Änderungsverfahren im Bebauungsplan und eine Nutzungsänderung nötig werden. Ihr solltet euch daher schon vorab darauf einstellen, dass diese Prozesse Zeit und Nerven in Anspruch nehmen werden. Und eine Tatsache vorab: Nachhaltiges Bauen ist in der Regel zumindest in der Erstinvestition meist aufwendiger und teurer – zahlt sich aber langfristig aus, z.B. durch niedrigere Energiekosten und ein besseres Raumklima.

Und dann sind Zukunftsorte ziemlich lange vor allem erstmal eines: Baustelle. Gerade beim Aus- und Umbau entdeckt man ständig neue To Dos und hat manchmal das Gefühl, nie fertig zu werden. Starke Nerven, eine starke Gruppe und Vision – aber auch ein starkes Finanzierungskonzept sind wichtig, damit unterwegs nicht das Geld und die Kraft ausgehen. Wie man all das regelt und welche rechtlichen und baulichen Parameter man beachten muss, erfährst du hier.

Hinweise:

  • Am besten einen geschulten Architekten mit Bauvorlagenberechtigung hinzuziehen. Das heißt, dass er z.B. Baugenehmigungen einreichen darf!
  • Für Statisches Gutachten wird am besten ein Statikbüro oder Prüfstatikbüro beauftragt.
  • Ein Brandschutzgutachten muss durch einen Brandschutz-Sachverständigen erstellt werden, und wird durch die Feuerwehr geprüft werden. 
  • Ein Schadstoff/Altlastengutachten kann die Präsenz von z.B. Schimmel/ Pilzbefall prüfen.
  • Die Beauftragung eines Bodengutachters sollte bei folgenden Grundstücken gesucht werden.
  • Vermessungsbüros erstellen den Aufmaß des Gebäudes, der als Grundlage für Architekt*innen dient.
  • Eine gewünschte Nutzungsänderung muss beim kommunalem Bauamt beantragt werden.

Relevante Themen in dieser Phase

Sechs Wahrheiten über das Bauen eines Zukunftsortes

Mit dem Kauf und Umbau einer Immobilie greift ihr auf ganz verschiedenen Ebenen in die bestehende Umgebung der Gebäude ein. Der Eingriff fängt “ganz banal” bei der ästhetischen Erscheinung an und reicht weiter bis zur Regionalentwicklung. Irgendwo dazwischen reihen sich ökologische Nachhaltigkeit, Bodenpolitik und viele weitere Aspekte ein. Wer all diese Facetten als Immobilienbesitzer*in oder Bauherr*in im Sinn hat, kann heute viel bewirken. Ihr solltet sowohl euer Nutzungs-, als auch das ästhetische Konzept wohlüberlegt definieren (lassen). Schneidet euer Nutzungsangebot auf die Region zu, reduziert den Einsatz von Baumaterial weitestmöglich und schaut genau darauf, welche Baustoffe ihr woher bezieht. Vielleicht gibt es Baustofflieferanten oder kundige Handwerker*innen aus der Region. Je mehr ihr grundsätzlich erhalten und sanieren könnt, statt neu bauen zu müssen, umso besser. Informiert euch hierbei auch über die Bedingungen für jeweilige Förderungen.

Tipp

In der Nachbarschaft nach Hilfe zu fragen - sei es nach tatkräftiger oder nach Auskunft - kann nicht nur den Prozess für euch erleichtern, sondern bindet auch die Anwohner*innen mit ein und schafft Vertrauen in euer Vorhaben. Natürlich solltet ihr in Zukunft dann auch tatkräftig mit Hilfe bereitstehen.

Informationsfilm zur Relevanz von Leerstands- und Bestandsnutzung

Dieser Film ist Teil der Reihe "Informationsfilme zur politischen Bildung", die sich mit Orten befasst, die einen wesentlichen Einfluss auf den Klimawandel haben oder an denen die klimatischen Veränderungen unserer Umwelt besonders deutlich werden. Er wurde in Kooperation mit der Landauer Leerstandsinitiative entwickelt.

Bis jetzt war Regionalentwicklung doch ein Stück weit getrennt von Regionalplanung und im Zuge der anstehenden Aufgaben von Mittelknappheit, von Ressourcenknappheit, Herausforderung des Klimawandels ist es natürlich auch die Aufgabe an die Akteure ihre Maßnahmen und Aktivitäten auch stärker miteinander zu verschränken.

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Grit Körmer / Regionalmanagerin

LAG Märkische Seen e.V.

In den Bauprozess seid nicht nur ihr als Gruppe und die örtliche Gemeinschaft eingebunden, sondern auch die verschiedenen Ämter in der Region. Es kann sein, dass eurem Gebäude ehemals eine spezifische Nutzung zugeschrieben war, die ihr heute nicht mehr erfüllen wollt. Dann müsst ihr zum Beispiel eine Nutzungsänderung im Bebauungsplan beantragen, bevor ihr loslegen könnt. Doch Achtung: Selbst wenn ihr die Nutzung fortführen wollt, kann ein erneuter Bauantrag nötig werden, nämlich wenn die Nutzung eine längere Zeit unterbrochen wurde (in Brandenburg bspw. für 7 Jahre). Ältere Bestandsgebäude sollten vor dem Umbau auch gut untersucht und kartiert werden. Gibt es (unterirdische) Altlasten  auf dem Grundstück oder am Gebäude, die den Abbruch verteuern könnten? Falls das Gebäude unter Denkmalschutz steht, kann das eure Gestaltungsmöglichkeiten einschränken - informiert euch vorab beim zuständigen Denkmalamt. Wenn das Gebäude besonders alt oder sogar schon baufällig ist oder ihr neue bauliche Elemente hinzufügen wollt, solltet ihr die Häuser außerdem auch auf ihre Statik untersuchen lassen. All diese Prozesse gehen schneller oder wenigstens leichter von der Hand, wenn man gute Kontakte zu den Mitarbeiter*innen auf den Ämtern hat. Klopft doch schon vor Baubeginn mal an ihre Türen, stellt euch vor und erkundigt euch, was ihr zu beachten habt und wo ihr Hilfe bekommen könnt. Signalisiert, dass ihr Wert auf eine gute Zusammenarbeit legt und keinen Alleingang hinlegen wollt. 

Auch wenn zuständige Sachbearbeiter*innen vielleicht zunächst nicht begeistert sind von eurem Projekt – ihr seid gut beraten, wenn ihr weiterhin freundlich bleibt und ehrlich versucht, ihnen das zu liefern, was sie brauchen um ihren Job zu machen. Meistens wird ein solch ehrliches Bemühen und die ernsthafte Auseinandersetzung mit der Materie honoriert und ihr gewinnt über kurz oder lang eine*n echte Unterstützer*in im Amt. Das ist Gold wert!

Am Ende haben wir die Förderung für ein Bauprojekt wieder abgesagt, weil wir nicht die richtigen Fachplaner finden konnten. Beim Brandschutzkonzept ging es mehrmals hin und her und es wurde keins gefunden. Wir werden diese Baufreigabe niemals bekommen.

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Janosch Dietrich / Gründer

Coconat

Mit dem Nutzungskonzept definiert ihr, was die Gebäude an Aktivitäten, Aufenthaltsmöglichkeiten und -qualitäten und an Atmosphären bereitstellen sollen. Wie ihr euch vor Ort, drinnen und auch draußen, aufhalten wollt (allein, in der Gruppe oder mit vielen Menschen), bestimmen die Raumaufteilungen und -größen, ihre Lage und einzelnen Verbindungen zueinander. Auch die Zugänglichkeit vom Grundstück oder von öffentlichen Wegen aus und die Ästhetik der Räume, ihre Oberflächen, Farben bis hin zur Möblierung ergeben ein Gesamtbild, dass die Nutzungen und ihre erfolgreiche Umsetzung stark beeinflussen.

Werft zu Beginn erstmal alle Ideen und Visionen zusammen und überlegt dann im zweiten Schritt, welche Funktionen z.B. in einem Raum zusammenkommen könnten und welche Anforderungen sie jeweils stellen. Danach könnt ihr zusammenfassen, wieviel Platz ihr insgesamt braucht und könnt so besser einschätzen, wie ihr mit euren Gebäuden bestmöglich umgeht, um eure Ideen zu realisieren. Es kann auch ungemein hilfreich sein, probeweise auf dem Areal zu wohnen oder sich wenigstens am Wochenende dort aufzuhalten. Dadurch können nochmal ganz neue Ideen oder auch wichtige Bedürfnisse zum aufkommen. Wenn die Häuser noch gar nicht bewohnbar sind, kommt in Bussen oder mit Zelten - auch so könnt ihr ein Gespür für die Umgebung kriegen und herausfinden, wo auf dem Gelände ihr euch intuitiv trefft oder aufhaltet.

Grundsätzlich gilt für Zukunftsorte, dass es nicht den einen Weg gibt, um ans Ziel zu kommen. Um euer fertiges Nutzungskonzept tatsächlich umzusetzen, gibt es also auch verschiedene Wege. Zunächst einmal kann man einen Großteil des Umbaus in Eigenarbeit stemmen oder aber Hilfe durch Fachkräfte in Anspruch nehmen, sei es ein*e Architekt*in, der oder die bei der Planung hilft oder Handwerker*innen, die beim tatsächlichen Umbau anpacken (und meist in einem Bruchteil der Zeit fertig werden). Fachkräfte kosten natürlich erstmal Geld, können aber sowohl Zeit sparen als auch eure Nerven und Rücken schonen – und sich am Ende doch wieder rechnen. So könnt ihr den Bau in einem Rutsch abwickeln oder aber ihn in einzelne Bauphasen aufteilen und Schritt für Schritt verwirklichen. Manche Zukunftsorte realisieren beispielsweise zunächst einen gewerblichen Bauabschnitt und holen dann durch den Betrieb wieder Geld rein, um mit dem Umbau weiter machen zu können. Grundsätzlich gilt, je mehr schon vor Baubeginn festgelegt wird, desto besser, weil diese Entscheidungen natürlich auch Einfluss auf eure Finanzierung nehmen! Stemmt ihr den Bau durch Eigen- oder Fremdkapital? Durch Kredite oder Förderungen? Zieht ihr (freiwillige) Helfer aus dem Freundes- und Verwandtenkreis oder öffentlichen Plattformen an Land? Auf jeden Fall kann es aller Planung zum Trotz zu unvorhersehbaren Kosten kommen - plant hierfür also besser einen Puffer mit ein – mindestens 20% Zusatzkosten!

Bestandsimmobilie kann man besser temporär nutzen als Neubau; eine Bestandsimmobilie ermöglicht so niedrigschwellige Nutzung und man kann dann langsam einen höheren Standard erreichen.

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Niklas Fanelsa / Architekt & Gründer

Atelier Fanelsa

Den Bauprozess vorab zu strukturieren ist wichtig und trotzdem kann es zwischendurch zu Schwierigkeiten kommen, die ihr so nicht vorhersehen konntet. Das Wetter kann euch dazwischen funken und den Bau verzögern, Baumaterial kann nicht geliefert werden, Handwerker*innen fallen spontan aus, ihr musstet plötzlich Geld investieren und jetzt fehlt es an anderer Stelle. In gewisser Weise könnt ihr euch aber schon vorher darauf vorbereiten. Der finanzielle Puffer kann natürlich helfen, aber auch durch einen zeitlichen Puffer und ein divers aufgestelltes Team könnt ihr euch absichern. Sind zum Beispiel nicht immer alle ständig gefordert, habt ihr zur Not noch Kraftreserven und helfende Hände in der Hinterhand. Oder ihr seid am Anfang noch an anderer Stelle (finanziell) abgesichert und könnt es euch leisten, gewisse Hürden einfach auszusitzen.

Bereitet euch auf jeden Fall mental darauf vor und sprecht dann im Fall der Fälle in der Gruppe darüber, wer gerade akut belastbar ist oder dringend eine Auszeit braucht. Das nächste Mal springt dann der Andere wieder ein.

So ein Mammutprojekt als Gruppe zu stemmen, ist eine ganz schöne Herausforderung. Deshalb ist es wichtig, dass eure Entscheidungsstrukturen und -prozesse klar sind, ebenso wie die Rollen, Zuständigkeiten und Kapazitäten. Gerade in Krisensituationen (und die gibt es während Bauphasen traditionell einige) ist eine Gruppe mit gefestigter Basis sehr wichtig: Vertrauen, effektive Entscheidungswege,Kompromissbereitschaft und Menschen, die bei Bedarf zur Hilfe kommen und auch Fehler tolerieren – all das ist unbedingt notwendig um Bauphasen gut hinter sich zu bringen.

Auf jeden Fall braucht ihr viel Ausdauer und starke Nerven! Wenn der Bauprozess startet muss sich das Team vielleicht nochmal neu justieren, denn jetzt kommt einfach ein neues und sehr umfassendes Aufgabenpaket hinzu. Benennt diese neuen Aufgaben und Kompetenzen und verteilt sie auf die Gruppe.


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